Der OVG-Beschluss zeigt Wirkung: Die Bundesnetzagentur will die Vorratsdatenspeicherung gegenüber den Providern vorerst nicht durchsetzen. Die Deutsche Telekom, Telefónica und Vodafoneverzichten nun auf die Speicherung. Die CSU ist empört.Nur drei Tage vor dem Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung kommt deren vorläufiges Aus. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) die anlasslose Speicherung von Standort- und Verbindungsdaten für unzulässig erklärt hatte, will die Bundesnetzagentur die Provider nicht mehr zu einer Speicherung zwingen. Die Bonner Regulierungsbehörde wolle bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens die Vorratsdatenspeicherung nicht durchsetzen, heißt es in einer Mitteilung vom Dienstag. "Bis dahin werden auch keine Bußgeldverfahren wegen einer nicht erfolgten Umsetzung gegen die verpflichteten Unternehmen eingeleitet", schreibt die Bundesnetzagentur.
Das OVG NRW in Münster hatte am Donnerstag entschieden, dass die deutsche Regelung zur verdachtsunabhängigen Speicherung von Standort- und Verkehrsdaten nicht mit europäischem Recht vereinbar ist. Allerdings galt die Entscheidung zunächst nur für den Münchner Provider Spacenet, der mit Unterstützung des IT-Branchenverbands Eco gegen die Vorgaben der Bundesnetzagentur geklagt hatte. Zudem betraf der Beschluss nur das Eilverfahren. Das Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln ist noch nicht abgeschlossen.

Druck auf die Bundesnetzagentur

Vor dem Hintergrund, dass die Deutsche Telekom ebenfalls wegen der Vorratsdatenspeicherung gegen die Bundesnetzagentur geklagt hatte, war die Behörde unter Druck geraten, noch vor dem 1. Juli eine Entscheidung zu fällen. "Die Dringlichkeit verlässlicher Maßgaben zur Vorratsdatenspeicherung für alle Beteiligten ist der Bundesnetzagentur bewusst. Die Bundesnetzagentur wird den Abschluss der Prüfung entsprechend forcieren", hatte ein Sprecher auf Nachfrage von Golem.de am vergangenen Freitag gesagt.
Die Entscheidung der Bundesnetzagentur bedeutet eine schwere Niederlage für die große Koalition, die im Jahr 2015 unter dem Eindruck von Terrorschlägen in Frankreich und Paris die Vorratsdatenspeicherung gegen erheblichen Widerstand in der SPD durchgesetzt hatte.

Endgültige Entscheidung kann dauern

Wann ein "rechtskräftiges Urteil" im Hauptsacheverfahren vorliegt, ist derzeit nicht abzusehen. Möglicherweise wird sogar das Bundesverfassungsgericht das maßgebende Urteil schon gefällt haben, bevor der Instanzenweg über die Verwaltungsgerichte beendet ist. Karlsruhe hat Eilanträge bislang stets abgewiesen. Ein Termin für die Entscheidung des komplexen Verfahrens sei derzeit nicht absehbar, hieß es noch im April 2017 vonseiten des Gerichts.
Die große Koalition hatte im Oktober 2015 die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Sie verpflichtete die Telekommunikationsanbieter, die Verkehrsdaten ihrer Kunden für zehn Wochen und die Standortdaten der Handynutzer für vier Wochen zu speichern. Anschließend hatte die Bundesnetzagentur einen umfangreichen Anforderungskatalog erstellt, den die Provider bis zum 1. Juli 2017 umsetzen mussten.

Provider müssen selbst entscheiden

Ob Telekommunikationsanbieter die Vorratsdaten nun speichern, liegt vorerst in deren eigenem Ermessen. Zwar dürften bis auf die Telekom die übrigen Provider die Infrastruktur bereits installiert haben, doch verursacht auch deren Betrieb Kosten, die bei der Telekom eine Million Euro im Jahr betragen.

Nachtrag vom 28. Juni 2017, 11:02 Uhr

Der IT-Verband Eco bezeichnete die Entscheidung der Bundesnetzagentur als "absolut konsequent". Vorstandsmitglied Oliver Süme forderte eine "Grundsatzentscheidung, um die Vorratsdatenspeicherung endgültig zu stoppen". Die Unternehmen benötigten "endlich Rechtssicherheit, um nicht erneut ein europarechts- und verfassungswidriges Gesetz umsetzen zu müssen und damit beachtliche Gelder zu verschwenden", sagte Süme. Nach Angaben der großen Mobilfunkprovider kostet die Infrastruktur für die Speicherung der Daten bis zu 15 Millionen Euro.

Nachtrag vom 28. Juni 2017, 11:25 Uhr

Die Deutsche Telekom und Telefónica Deutschland wollen die Vorratsdatenspeicherung vorerst nicht umsetzen. "Wir begrüßen die Aussetzung durch die Bundesnetzagentur. Für so einen sensiblen Eingriff in Persönlichkeitsrechte muss Rechtssicherheit gegeben sein. Das haben wir von Anfang an betont", sagte Thomas Kremer, Vorstand Datenschutz, Recht und Compliance der Telekom, auf Anfrage von Golem.de. Telefónica Deutschland teilte am Mittwoch auf Anfrage von Golem.de mit, das Unternehmen werde "als Reaktion auf die Entscheidung der Bundesnetzagentur bis zur endgültigen Klärung nicht mit der Vorratsdatenspeicherung beginnen".

Nachtrag vom 28. Juni 2017, 14:01 Uhr

Vodafone/Kabel Deutschland schloss sich dem Vorgehen an. "Auf Grund der heutigen Mitteilung der Bundesnetzagentur sieht Vodafone auch im Interesse seiner Kunden von der Speicherung und Beauskunftung von Verkehrsdaten (auf Grund der sogenannten Vorratsdatenspeicherung 2.0) bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren ab", hieß es in einer Mitteilung. 1&1 hatte zuvor bereits kurz getwittert: "Wir begrüßen die Entscheidung der Bundesnetzagentur, die VDS auszusetzen, und werden bis auf Weiteres keine Daten speichern." Später erläuterte das Unternehmen in einem Blogbeitrag ausführlicher die Gründe für die Aussetzung.
Scharfe Kritik kam hingegen von der Union. Der CSU-Politiker Volker Ullrich twitterte: "Die Aussetzung der VDS durch die Bundesnetzagentur ist anmaßend. Ein solcher Schritt stünde nur dem Gesetzgeber selbst zu!" Der Schritt sei "ist sachlich nicht geboten, verfassungsrechtlich bedenklich und innenpolitisch falsch!"

Ullrich hatte Mitte Mai 2017 in einer Bundestagsdebatte noch gesagt: "Es war richtig und geboten, dass wir die Speicherung von Verbindungsdaten beschlossen haben und sie dieses Jahr in Kraft treten wird." Die geplante Erweiterung der Vorratsdatenspeicherung auf Wohnungseinbrüche wird angesichts der neuen Situation zunächst wirkungslos bleiben.
Quelle: https://www.golem.de/news/nach-geric...06-128628.html