USA drohen Russland mit Abschuss von Kampfjets über Syrien
Das Pentagon hat Russland ausdrücklich mit dem Abschuss von russischen Flugzeugen gedroht, sollte diese den US-Verbündeten in Syrien zu nahe kommen. Die Situation ist gefährlich, weil die Russen sagen, sie bekämen von den Amerikanern keine Informationen, wo die US-Söldner kämpfen.
Der Konflikt in Syrien steht erneut vor einer gefährlichen Zuspitzung: Peter Cook, Sprecher des Pentagon, sagte am Montag bei einer Pressekonferenz in Washington, dass die USA Flugzeuge, die den US-Verbänden in Syrien zu nahe kommen würden, abschießen werden. Auf Nachfrage der Journalisten, ob damit gesagt sei, dass die Amerikaner auch russische Kampfjets abschießen werden, sagte Cook: „Wir werden unsere Leute auf dem Boden verteidigen, und wir werden tun, was nötig ist, um sie zu verteidigen.“
Das Problem: Die USA haben offiziell in Syrien keine Truppen im Einsatz, sondern arbeiten mit „Verbündeten und Partnern“ zusammen, wie Cook sich ausdrückte. Diese Partner sind unterschiedliche Söldner-Truppen, die unter anderem von den Golf-Staaten beschickt werden. Auch die kurdische Miliz YPG gehört dazu. Cook wollte sich jedoch auf intensives Nachfragen der Journalisten nicht darauf festlegen, welche Truppen gemeint sind, wenn er von „unsere Leute“ sprach. Die Journalisten beschwerten sich, dass sie in den vergangenen Tagen darüber informiert worden seien, dass das Pentagon „seine Leute“ aus der Region Hasaka abgezogen habe, nun aber die Rede davon sei, dass das Pentagon „seine Leute“ verteidigen werde (Diskussion ab etwa Minute 20)
Das Problem ist nicht nur völkerrechtlicher Natur: Die USA haben kein UN-Mandat, in Syrien Krieg zu führen und können eigentlich nicht bestimmen, was über dem Territorium eines souveränen Staates geschieht. Die Frage, ob die Ankündigung, syrische und russische Jets abzuschießen, der Errichtung einer Flugverbotszone gleichkomme, beantwortete Cook ausweichend: Man könne das nennen, wie man wolle.
Das zentrale Problem der Russen und der Syrer ist: Ähnlich wie die Journalisten in Washington tappen auch die Russen bei ihrem Kampf gegen den IS und islamistische Söldner völlig im Dunklen über die Positionen der Amerikaner.
Der Einsatz des russischen Militärs in Syrien hat eine völkerrechtliche Grundlage, weil Russland von der Regierung in Damaskus um Hilfe gebeten wurde.
Der russische Verteidigungsminister Sergej Shoigu sagte in einem Interview mit Russia 1, dass die US-Amerikaner zwar von den Russen und Syrern verlangen, von Luftschlägen gegen die „moderaten Rebellen“ abzusehen, doch über die Stellungen der „moderaten Rebellen“ geben die Amerikaner den Russen und Syrern keine Auskunft.
„Wir sagen ihnen: Sagt uns, wo diese moderate Opposition stationiert ist. Sagt uns, wo sie sich exakt befinden, damit wir Luftschläge gegen sie unterlassen. Doch die Amerikaner reagieren nicht drauf. Gut, dann sagt uns doch, wo wir genau bombardieren sollen – wo denkt ihr, befinden sich die Stellungen der Al-Nusra-Front und ISIS? Doch auch darauf erhalten wir keine Antwort“, so Schoigu.
Der Streit zwischen den USA und Russland dürfte auch um die islamistischen Söldner der al-Nusra gehen: Vor einer Woche hatte Army Col. Christopher Garver gesagt, dass die US-Luftwaffe nicht gegen al-Nusra kämpfe – obwohl der al-Kaida-Ableger als Terror-Gruppe eingestuft wird und ausdrücklich vom Waffenstillstand in Syrien ausgenommen ist. Al-Nusra wird von den Saudis unterstützt, die ein Teil der US-Koalition sind. Die Russen haben von Anfang an klar gemacht, dass sie gegen alle Söldner und Terroristen vorgehen werden – also auch gegen die al-Nusra.
Die offizielle Drohung der Amerikaner, russische oder syrische Jets abzuschießen, kann die Lage in Syrien erheblich eskalieren. Kommt es wirklich zu einem Abschuss, wären Russen und Amerikaner in einer direkten militärischen Konfrontation. Das Absurde an der Situation: Die Amerikaner riskieren die direkte Konfrontation mit Russland, um eine Formation der al-Kaida-Terroristen ungeschoren aus dem Kampfgebiet zu lotsen. Bereits vor einigen Tagen haben US-Militärs den Abzug von IS-Terroristen untätig beobachtet.
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Von Kurden erobertes Manbidsch
Der IS ist geflohen, die Angst bleibt
Von Christoph Reuter
Manbidsch ist frei, kurdische Milizionäre haben die Terroristen des IS aus der syrischen Stadt vertrieben. Doch auch die Befreier sind machthungrig - manche Bewohner berichten bereits von Schikane.
Aller Jubel war echt. Die Bilder begeisterter Frauen, die bewaffneten Männern in die Arme fielen, die Jubelschreie, als die nordsyrische Stadt Manbidsch vor einer Woche vom Terrorregime des "Islamischen Staates" (IS) befreit wurde. Es wurden Bärte abrasiert, Zigaretten geraucht und Schleier verbrannt.
Nur ein kleines Detail war auffällig: In mehreren der Videos sprachen sowohl Befreier wie Befreite kurdisch. Manbidsch aber, wo einst 150.000 Menschen lebten, war stets zu etwa 80 Prozent arabisch, mit kleinen kurdischen, turkmenischen und tscherkessischen Minderheiten gewesen.
Doch die Befreier von Manbidsch waren kurdische Milizionäre der "Syrian Democratic Forces" (SDF), die mit massiver amerikanischer Luftunterstützung nach mehreren Wochen heftiger Kämpfe die Stadt einnahmen. Es gibt ein paar arabische Gruppen in der SDF. Aber die überwiegende Mehrheit der Kämpfer und die gesamte Kommandoebene sind Kurden. Sie gehören zur selben straff organisierten Kadertruppe, die in Syrien als YPG und in der Türkei als PKK firmiert. Sie agieren stets unter dem Porträt ihres kultisch verehrten Führers Abdullah Öcalan.
Die Fotos und Videos aus Manbidsch, der Zugang, wer überhaupt dorthin kommen konnte - alles wird von der neuen Macht kontrolliert. Plötzlich gibt es einen neuen kurdischen Militärrat und Stadtrat, obwohl Manbidsch vor der IS-Schreckenszeit anderthalb Jahre lang von einem gewählten Stadtrat verwaltet wurde. Auf vielen zentralen Gebäuden steht nun "YPG" gesprüht. Das Image von der Befreiung, es ist nur das halbe Bild der Wirklichkeit.
Video: Jubel in Manbidsch
'Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!'
"Wir wollten zurück nach Hause", erzählt Monzer al-Sallal, die führende Figur des alten Stadtrats, "unser Haus zurückhaben, das der IS beschlagnahmt hatte nach der Eroberung der Stadt im Januar 2014. Aber als Verwandte von uns jetzt dorthin fuhren, hatte die SDF es schon requiriert. 'Das gehört den Sallals? Die sind gegen uns, also gehört uns das jetzt', war deren Auskunft."
Auch der prominente Anwalt und Schriftsteller Hassan al-Naifi, der unter Assad 15 Jahre im Gefängnis verbracht hatte, kann nicht zurückkommen: "Mein Bruder und dessen Familie waren in Manbidsch geblieben. Als der IS abzog, nahm er sie als Geiseln mit, ließ sie frei in einem Dorf nahe ihrer letzten Hochburg Jarablus. Jetzt wollen sie zurück, aber die SDF lässt sie nicht. Sie sagt, die Strecke sei vermint."
Mit den anderen Mitgliedern des Stadtrats habe er der SDF angeboten, zu kooperieren. Aber das sei abgelehnt worden. "Die wollen alleine herrschen nach dem Motto: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns! Manbidsch gehöre zu ihrem kurdischen Staat, sagen sie. Wir haben die Amerikaner um Hilfe gebeten, aber die haben abgewunken. Sie bräuchten die SDF, um den IS zu bekämpfen und könnten im Moment keinerlei Druck ausüben."
Es ist die topographische Tücke Nordsyriens, die auch nach der Vertreibung des IS dort keine Ruhe einkehren lassen wird - völlig unabhängig vom Krieg zwischen Assads Regime und Rebellen. Seit jeher hat es an der türkischen Grenze drei getrennte kurdische Gebiete gegeben: Afrin ganz im Westen, Kobane in der Mitte, Kamischli im Osten. Dazwischen liegen arabisch-sunnitische Städte und Dörfer.
Seit Beginn des syrischen Aufstands 2011 hat die YPG/PKK im Zickzackkurs mal mit Assad-Regime, mal mit den Rebellen kooperiert, sich sowohl den USA wie Russland als Verbündeten empfohlen. Mit Erfolg: Mittlerweile hat sie im Nordwesten Assads Truppen geholfen, mit russischer Luftunterstützung den Belagerungsring um Aleppo zu schließen. Im Nordosten leisten amerikanische Bombardements entscheidende Hilfe beim Vormarsch gegen den IS.
Alles gilt dem einem Ziel: aus ihren drei getrennten kurdischen "Kantonen" ein zusammenhängendes Areal zu machen, "Rojava", Westkurdistan, möglichst als eigenen Staat. Nur müssen dafür die bisherigen arabischen Nachbarn überzeugt, unterworfen oder vertrieben werden.
Rabiater Machtanspruch
Schon im vergangenen Herbst berichtete die Menschenrechtsorganisation Amnesty International von systematische Vertreibungen und der Zerstörung arabischer Dörfer in den von kurdischen Milizen eroberten Gebieten. Tage vor der Befreiung von Manbidsch zwangen kurdische Einheiten die Bewohner acht umliegender Dörfer, diese zu verlassen. Würden sie dem Befehl nicht gehorchen, drohten die Milizionäre, dann kämen die Jets der Koalition, das Dorf einzuäschern, berichten geflohene Bewohner.
Auch nach innen wird die Partei rabiater in ihrem Machtanspruch. Nach dem Sieg in Manbidsch begann in anderen Orten eine Verhaftungswelle unter syrisch-kurdischen Politikern und Journalisten, die sich dem Monopolanspruch der YPG bislang widersetzten. In Hassaka und Kamischli wurden Dutzende Männer von Asaisch, dem YPG-Geheimdienst, festgenommen. Der prominenteste unter ihnen, Ibrahim Biro, wurde nach mehreren Stunden in den Irak deportiert. Käme er je nach Syrien zurück, so die Drohung der Geheimdienstler, würden sie ihn töten.
In Manbidsch fühlen sich die neuen Herrscher missverstanden. "Mich hat noch niemand kontaktiert, der nicht zurückdarf", so der Sprecher des neuen SDF-Militärrates, Schirwan Darwisch: "Die Dorfbewohner wurden von uns evakuiert - aber nur zu ihrem eigenen Schutz."
Zur Kernfrage allerdings, ob die YPG sich nach ihrem Sieg wieder aus Manbidsch zurückziehen werde, was ein US-Regierungsvertreter schon im Juni versprochen hatte, fällt die Antwort vage aus: "Darüber werden wir reden, wenn wir unsere Kampagne abgeschlossen haben."
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