Keine Fahrscheine und keine Kontrollen mehr: Kostenloser öffentlicher Nahverkehr könnte in Deutschland Realität werden, denn die Bundesregierung muss ihre Maßnahmen für saubere Luft in den Städten deutlich ausweiten. Sonst droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Das soll unter anderem mit kostenlosem öffentlichen Nahverkehr verhindert werden.
Dies geht aus einem Brief von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella hervor, der dem Magazin "Politico" vorliegt.
In dem Schreiben heißt es, die Bundesregierung denke zusammen mit den Ländern und Kommunen über einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr nach. Das soll vor allem die Zahl privater Fahrzeuge verringern. Außerdem sollen, wenn nötig, Städte bei der Einführung von Fahrverboten unterstützt werden, um die von Autos verursachte Umweltverschmutzung zu reduzieren. Allerdings sollen die Fahrverbote nur in ausgewiesenen Straßen gelten. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen soll in fünf Städten getestet werden, und zwar in Bonn, Essen, Herrenberg (Baden-Württemberg), Reutlingen und Mannheim.
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), aber auch der deutsche Städtetag zeigten sich überrascht vom Vorstoß der Bundesregierung. Beide erwarten vom Bund ein tragfähiges Konzept zur Finanzierung. "ÖPNV zum Nulltarif würden die Kommunen nur mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung durch den Bund anbieten können", erklärte Hermann. Man sei zwar offen für unkonventionelle Ideen, hoffe aber, dass der Vorschlag "keine Nebelkerze zur Abwehr der angedrohten Klage der EU-Kommission" sei, so der Minister weiter.
Auch bei Nutzfahrzeugen soll einiges getan werden: Für den Schwerlastverkehr solle es "Niedrigemissionszonen" geben, um die Stickoxidemissionen in bestimmten Stadtteilen zu senken. Außerdem solle die Flottenerneuerung von Firmen steuerlich begünstigt werden.
Die zusätzlichen Maßnahmen wurden durch Forderungen der EU-Kommission nötig. Sie könnte vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen, sollte Deutschland die Luftqualität in den Städten nicht verbessern. Letzte Konsequenz könnten Fahrverbote sein.
Kostenloser ÖPNV nicht unumstritten
Ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr, wie er zum Beispiel in der estnischen Hauptstadt Tallinn eingeführt wurde, ist jedoch nicht unumstritten: Zwar sinkt die Anzahl der Autos auf den Straßen, während die Auslastung von Bussen und Bahnen steigt. Es steigen jedoch auch Fahrradfahrer, die bereits umweltfreundlich unterwegs sind, auf öffentliche Verkehrsmittel um. Durch die vielen Umsteiger wird eine deutlich höhere Kapazität zu den Stoßzeiten nötig und es kommen zusätzliche Ausgaben auf die Städte zu. So konnte auch die Stadt Tallinn nach dem Anstieg der Fahrgastzahlen die Kapazitäten aus finanziellen Gründen zunächst nicht erhöhen.
Auch die US-Stadt Portland stellte 2012 nach fast 40 Jahren die kostenlosen Busfahrten in der Innenstadt ein. Anlass war eine Finanzierungslücke, gleichzeitig kamen die Busse durch die vielen Kurzstreckenfahrgäste jedoch auch immer schlechter voran.
über ein danke würde ich mich freuen lgSpoiler ausklappen